Phasen des Spracherwerbs (in der Erstsprache)

Die Erwerbsphasen werden typisierend dargestellt, um die Rollen von Kind und Erwachsenem sichtbar zu machen. 

Gegen Ende des ersten Lebensjahrs, teils früher, kommen aufgrund physiologischer Entwicklungen und der vorherigen Anregungen aus der Umwelt Vorformen von Wörtern als Doppelsilben aus konsonant und Vokal (gaga, dada) etwa gleichzeitig mit der gerichteten Gestik (greifen, auf etwas zeigen) in Gang: Einwortäußerungen. Erste Wörter mit noch globaler Bedeutung (heiß bedeutet ‚Vorsicht, das kann weh tun‘) und das Laufen folgen. Es lässt sich beobachten, dass das Kind weitaus mehr versteht als spricht:

Die Familie sitzt mit Eli (1;0 Jahre) am Küchentisch. Die Erwachsenen unterhalten sich. Plötzlich sagt

Mutter: Ich hab den Herd nicht ausgemacht!

Eli (zeigt auf den Herd): dadada

Vater (ungläubig): Eli, wo ist der Herd?

Eli (zeigt auf den Herd): dadada

Die Rolle der Mutter (der Bezugsperson) ist die der Verstehenden, Sprache Anbietenden, Erklärenden und Anreichernden. Ihr Vorgehen lässt sich oft als Expansion der kindlichen Äußerung bezeichnen: Sie wiederholt das vom Kind Gesagte und baut es aus, indem sie es in expliziten Äußerungen verpackt. Sie begleitet ihr Tun durch Sprache und gibt Begründungen („Jetzt rühren wir um, damit Mehl, Milch und Eier sich vermischen…"). Durch Sprachgebrauch in Situationen reichert sich der erste Wortschatz des Kindes an: es benennt mehr und mehr Gegenstände seiner Lebenswelt (nana oder namnam oder hamham für Essen und Trinken; heiß für Gefährliches); manchmal überdehnt es die Bedeutung (Übergeneralisierung wawa/wauwau für ‚Hund‘ und andere Vierbeiner, roller für Fahrräder und motorisierte Räder).

Um das zweite Lebensjahr, manchmal früher und manchmal etwas später, werden Wörter zu Zwei- und Mehrwortäußerungen verbunden. Oft steht das, was wir als Verb ansehen, an letzter Stelle.

Das erste Erlebnis, das Johanna (2;2 Jahre) abends ihrem Papa erzählt, lautet so:

„Das runterfallen – arm dauf – wehtan Jonan – zin geben - besser fühlt"

(Das ist runtergefallen – auf den Arm drauf – es hat Johanna wehgetan – Mama hat Johanna Me-

dizin gegeben – Johanna fühlt sich besser.)

Diese Geschichte kann entstehen, weil die Mutter das Ereignis zuvor mit dem Kind teilnahmsvoll besprochen hat. In der Rekonstruktion mit der Mutter kann Johanna ihre Geschichte bauen.

Bald darauf (im zweiten und dritten Lebensjahr) folgen kleine Sätze, bei denen die Wortstellung schon zielgemäß erfolgt und auch Artikel auftauchen sowie originale Kreationen, die Phase einfacher Basissätze:

Der Betonmischer betont.

Der Mann guckt.

Mami gast. (Mami macht den Gasherd an.)

Mit spätestens vier Jahren, wenn die Kinder schon eine Schule besuchen, bilden sie in ihrer Erstsprache korrekte Sätze (evtl. in ihrer Varietät korrekt), sie sprechen, individuell unterschiedlich, ungefähr 1000 bis 1500 Wörter oder mehr und beginnen mit dem Ausbau der Satzstrukturen (wenn … dann …; weil …; Relativsätze und Attribute). Sie können im Dialog sprechen, unterscheiden sprachliche Verhaltensweisen (z.B. höfliches und „freches" Sprechen), können erzählen und einige Gesprächsregeln beachten. Dies alles gelingt umso mehr, je intensiver Erwachsene im verständigen Dialog mit dem Kind sprechen.

Kinder haben den ersten Spracherwerb mit etwa 3 bis 4 Jahren abgeschlossen und damit die Basissprache für den Nahbereich erworben; sie entwickeln ihre Sprache nun weiter. Den erreichten Sprachstand allgemein zu beschreiben ist heikel, da es – je nach Anregungen der Umgebung und nach Individualität des Kindes – Kinder mit sehr entfalteten und Kinder mit weniger entfalteten Sprachfähigkeiten gibt.

>> Sprachentwicklung in den ersten Lebensjahren

>> Frühe Sprachaufmerksamkeit in der Erstsprache

Das Institut de Formation continue empfiehlt die folgenden Weiterbildungsangebote: