Doppelte Erstsprachen: 

In zwei Sprachen sprechen lernen

Kinder, die in eine zweisprachige Familie und Lebenswelt geboren werden, nehmen schon im Mutterleib beide Sprachen hörend auf. Die Sprache der Mutter ist die nähere, die dem Kind vertrautere, ihr Klang prägt das vorgeburtliche Hören des Kindes. Wenn die Mutter zwei Sprachen abwechselnd gebraucht, nimmt das Kind den Klang beider Sprachen auf. Die Sprachmelodie und die Vokale in der Sprache der Mutter – und abgeschwächt auch in der Sprache von anderen Personen – werden zuerst wahrgenommen. Die Empfänglichkeit des Kindes für diese Sprachen wird verstärkt nach der Geburt mit den nun folgenden Körper- und Spracherfahrungen. Wenn z.B. der Vater, die Großmutter oder die Kinderfrau mit dem Kind eine andere Sprache spricht als die Mutter, stellt sich das Kind auch auf diese Sprache ein. Entscheidend für die Festigung ist die Sprachmenge – ein paar Wendungen jeden Tag reichen nicht aus für das intensive Aufnehmen. Entscheidend ist zum anderen die emotional-soziale Erfahrung im Zusammenhang mit der Sprache: wie das Kind im Arm gehalten und berührt wird, wenn mit ihm gesprochen wird; wie intensiv der Blick- und Körperkontakt dabei ist, ob das gemeinsame Spiel, bei dem zuwendend gesprochen wird, Spaß macht und ob man Freude miteinander erlebt...

Wenn ein Kind in zwei Sprachen zugleich sprechen lernt, dann geht das Sprachenlernen zunächst sehr ähnlich vor sich wie mit einer einzigen Sprache: Das Kind erkundet die Umgebung tastend und gestikulierend, es übt seine Sprechwerkzeuge ein, es artikuliert und probiert alle möglichen Laute aus, und allmählich bevorzugt es die Laute, auf die seine Umwelt positiv reagiert. Es lernt in Interaktion, wie die Dinge heißen, und es beginnt zu verstehen. Die ersten Wörter, noch in frühkindlichen Formen (Silbendopplung aus konsonant und Vokal: gaga), kommen aus der Sprache, die die kindliche Lebenswelt am intensivsten prägt. Schon bald tauchen auch Wörter aus beiden Sprachen auf.

Frühe Lautkette scheinen neben dadamama und papa/baba die Formen ata und tata zu sein, alle vier Formen weisen den „maximalen Kontrast" auf: im Wechsel den Selbstlaut / Vokal a, der bei offenem Mund hinten gebildet wird, und einen Mitlaut/Konsonant, der mit geschlossenen Lippen (mbp) oder Zunge und Zahnrand (dt) gebildet wird. Viele erste Wörter sind so gebaut. Während mama und papa/baba in vielen Sprachen dieselbe Bedeutung haben, ist das bei anderen Formen nicht der Fall. ata z.B. wird im Deutschen regional verstanden als „spazieren gehen", alternativ zu tata / teita. Im Französischen wird ata als Form von „attends" (warte!) angesehen, tata als Babywort für „poussette" (Kinderwagen). 

Beispiele zeigen, dass simultan zweisprachig aufwachsende Kinder bisweilen schon früh das Problem lösen müssen, dieselbe Lautkette mit zweierlei Bedeutung zu verbinden. Wir wissen nicht genau, wie sie das Angebot der zwei Sprachen ordnen. Man nimmt an, dass sie sich an den Personen orientieren, die die eine und die die andere Sprache gebrauchen. Der Sprachbeginn zweisprachig aufwachsender Kinder scheint mehr Zeit zu benötigen; sie beginnen oft (aber nicht immer!), etwas später zu sprechen. Dieser Befund ist mit Vorsicht aufzunehmen, denn auch bei den Einsprachigen gibt es Kinder, die nicht mit einem Jahr, sondern später erste Wörter äußern. Bei Zweisprachigen kann der Lernfortschritt zu Anfang langsamer aussehen, so dass Eltern und Großeltern ungeduldig werden. Die Kinder brauchen jedoch ihre Zeit für „Mamasprache" und „Papasprache"! Von ca. zwei oder drei Jahren an halten die Kinder die Wörter der einen und der anderen Sprache auseinander, auch wenn sie im Sprechen noch eine Zeitlang eher „gemischte" Sätze bilden. Mit vier Jahren sprechen sie normalerweise in jeweils einer der beiden Sprachen. Möglicherweise „leihen" sie sich aus der anderen Sprache ein Wort, das sie in dieser Sprache nicht kennen: "I do not want cream on my Avocadobrot on top!", oder sie verwenden eine Satzstruktur aus der Sprache, die sie besser sprechen „Not down! I want up to go!" (Leah, 3;1 Jahre).

Solche Spracherwerbsgeschichten kennen wir von vielen zweisprachigen Kindern. Mit dem Wechsel des sprachlichen Umfelds entwickelt sich diejenige Sprache, die das Kind hier und jetzt hört und spricht, stärker. Das heißt, eine schwächere zweite Sprache bleibt nicht für immer schwach. Bei intensiviertem Kontakt mit dem Land dieser Sprache baut das Kind, später der Erwachsene, seine zweite Sprache aus. Wenn der Umgebungswechsel mehrfach erfolgt (und nicht von psychischen oder sozialen Problemen begleitet ist), können sich beide Sprachen gut ausbilden. Beide Sprachen können bei entsprechender formaler Bildung bildungssprachliches Niveau erreichen.

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Das Institut de Formation continue empfiehlt die folgenden Weiterbildungsangebote: